Der Hamburger Jugendserver

Criminal Minds

von Richie Laymon

(Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
 

Jemanden, der bereits ein Verbrechen begangen hat und sogar schon im Knast gelandet ist, kann man trotzdem nicht unbedingt als Verbrecher oder Kriminellen bezeichnen. Verbrecher oder kriminell zu sein, ist nämlich eine Kopfsache – wie man denkt, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, was man für einen Lebensstil pflegt, womit man sich jeden Tag beschäftigt und was man für Prinzipien und was für eine Moral man hat.

Wenn jemand kriminell denkt, dann glaubt er, immer über dem Gesetz zu stehen. Ich gebe euch ein Beispiel: Stellen wir uns zwei Personen vor – Markus und Amadou. Beide stecken gerade in einer schwierigen Situation. Ihre beiden kleineren Schwestern sind miteinander befreundet und haben gerade zusammen an einer Houseparty teilgenommen. Bei dieser Party hat ihnen jemand K.O.-Tropfen ins Glas geschüttet, die Mädchen wurden fast ohnmächtig und wurden dann von zwei Jungs missbraucht.

Als Markus erfahren hat, was mit seiner Schwester passiert ist, ist er zuerst zu den betreffenden Jungs gefahren und hat extrem aggressiv reagiert. Dann ist er mit seiner Schwester zur nächsten Polizeiwache gefahren, sie haben die Jungs angezeigt, und Markus hat dort auch gleich zugegeben, dass er einen der Jungs angegriffen hat.

Amadou dagegen hat ganz anders reagiert. Nachdem er erfahren hat, was passiert ist, hat er erstmal gar nichts gemacht. Er hat seine Schwester abgeholt, sie nach Hause gefahren und ihr verboten, mit der Polizei zu reden. Er hat monatelang geplant, wie er es den Jungs heimzahlen kann, und schließlich hat er die Jungs umgebracht. Natürlich weiß Amadou, dass Töten ein Kapitalverbrechen ist und dass er dafür lebenslänglich im Knast landen kann – aber er hat es trotzdem gemacht, weil er denkt, dass er im Recht ist und damit über dem Gesetz steht. Im Knast würde er dann denken, dass es sich doch gelohnt hat, und er würde seine Strafe mit Stolz absitzen.

Kriminelle denken ganz anders als „normale“ Menschen – wenn sie denn überhaupt bei ihren Taten erwischt werden. Sogar wenn sie zu einer richtig langen Strafe verurteilt werden, denken sie nicht ans Aufhören, sondern nutzen die Zeit im Gefängnis dazu, ihre Taten das nächste Mal besser und schlauer zu begehen, um dann nicht wieder erwischt zu werden. Deshalb ist noch längst nicht jeder, der in einem Gefängnis sitzt, auch wirklich ein Krimineller.

 


Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.
Bildnachweis: Illustration: Gehirn mit Handschellen © Talaj/AdobeStock, farbliche Nachbearbeitung: JIZ Hamburg

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