Der Hamburger Jugendserver

Kulturelle Aneignung

... und was sie mit Hip-Hop zu tun hat

 

Es ist noch nicht lange her, da entbrannte eine öffentliche Diskussion darüber, ob weiße Frauen Rasta-Locken tragen dürfen. Fridays for Future hatte den geplanten Auftritt einer Musikerin auf einer Demonstration in Hannover kurzfristig abgesagt, weil diese als weiße Person Dreadlocks trägt. Das sei eine Art von kultureller Aneignung. Du hast das sicher auch mitbekommen und dir vielleicht sogar eine eigene Meinung dazu gebildet. Aber was ist mit kultureller Aneignung oder auch cultural appropriation gemeint?

Kulturelle Aneignung meint das Übernehmen von Elementen aus einer Kultur durch Personen oder Gruppen, die nicht selbst Teil dieser Kultur sind. Also wenn eine Person, die nicht aus einer bestimmten Kultur stammt, eine bestimmte Sprache oder einen Dialekt verwendet, traditionelle Kleidung oder Accessoires trägt oder bestimmte kulturelle Praktiken nachahmt oder übernimmt ohne die damit verbundenen historischen, politischen oder sozialen Bedeutungen und Kontexte zu verstehen oder zu respektieren. Oft geht damit ein Machtungleichgewicht einher, bei dem Mitglieder einer dominanten Kultur Elemente aus einer unterdrückten oder marginalisierten Kultur übernehmen und das wird von vielen Menschen entsprechend kritisch betrachtet.


 

Diskurs der kulturellen Aneignung

Der Diskurs der kulturellen Aneignung wird allerdings aus verschiedenen Perspektiven, Positionen und Meinungen geführt. Wir können hier nicht alle Standpunkte aufführen, aber im Wesentlichen gibt es Menschen, die jede Form der kulturellen Aneignung ablehnen, da sie der Meinung sind, dass dies die Unterdrückung von marginalisierten Kulturen fortsetzt.

Andere finden, dass es darauf ankommt, welche Kontexte und historischen Hintergründe hinter den verwendeten Elementen stehen, um zu entscheiden ob es ok ist, diese aus einer anderen Kultur zu verwenden. Sie finden, dass das Einbinden verschiedener kultureller Elemente zu einer bunteren Gesellschaft und zu einem interkulturellen Austausch führen kann.

Manche Menschen fänden es gar unmöglich, zu versuchen eine homogene Kultur zu pflegen ohne die Aneignung anderer kultureller Elemente. Sie sagen: Die Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen ist ein natürlicher Bestandteil der menschlichen Interaktion und kulturellen Entwicklung.

So weit so ...theoretisch. Mit einem Beispiel wird es konkreter:


 

Kulturelle Aneignung am Beispiel der Popkultur Hip-Hop

Hip-Hop als Musikrichtung entstand in den USA – in der Bronx, dem ärmsten der fünf Stadtteile von New York – unter Einfluss von Funkmusik und der jamaikanischen Kultur in den 1970er Jahren. Einer der ersten Hip-Hoper war Clive Campbell alias "Kool Herc", ein jamaikanischer Einwanderer.

Hip-Hop hat marginalisierten Gruppen und jungen Menschen eine Stimme und Raum gegeben, die von der Mainstream-Kultur ausgegrenzt oder ignoriert wurden. Hip-Hop ist daher für viele auch eine Lebenseinstellung und zur Kultur gehören auch weitere Elemente wie der Breakdance und Graffiti.

Hier in Deutschland entwickelte sich die Hip-Hop Kultur in den 1980er Jahren. Anders als in den USA, handelt es sich hierbei zunächst nicht um eine Kultur marginalisierter Gruppen. Erst einige Zeit später, mit Rappern wie „Sido“, änderte sich das. Auch die Auseinandersetzung mit der deutschen Einwanderungsgeschichte ist seither ein zentraler Bestandteil deutscher Rapmusik. Hip-Hop gibt jugendlichen Migrantinnen und Migranten in Deutschland eine Möglichkeit ihre Erfahrungen sowohl untereinander als auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft thematisieren zu können. 

Übrigens: Hamburg spielte bei der Verbreitung des Hip-Hop und insbesondere des Kulturelements Graffiti in Deutschland eine zentrale Rolle: EINE STADT WIRD BUNT – SHMH

 

Im folgenden Video wird insbesondere die deutsche Entwicklung ausführlich beschrieben:

 

In den letzten Jahren wird, wie auch in anderen Kulturbereichen, eine zunehmend komplexe und vielschichtige Debatte über den Umgang mit kultureller Aneignung im Hip-Hop geführt. Vielleicht kennst du auch ein Beispiel.

Viele Hip-Hop-Künstler:innen und -Fans betonen die Bedeutung von Authentizität im Hip-Hop und argumentieren, dass die Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen dazu führen kann, dass die Authentizität des Genres und seiner Geschichte verloren geht. Außerdem dienen die Übernahme von Elementen anderer Kulturen der Selbstdarstellung zur Profitmaximierung, so der Vorwurf. In dieser Form ist das die Ausbeutung marginalisierter Minderheiten.

 

Die Inszenierung des Apache 207

Dem Künstler Volkan Yaman aka „Apache 207“ wird vorgeworfen, sich mit seiner Inszenierung als Person mit amerikanisch-indigener Herkunft, dieser Kultur zu bedienen und sich durch sie zu bereichern. Er trage außerdem dazu bei, die kulturellen Elemente zu entwerten, indem er sie aus ihrem ursprünglichen sozialen und politischen Kontext entfernt und sie zu rein ästhetischen und modischen Merkmalen macht. Sein Künstlername ist das Eine, im Musikvideo zu “Kein Problem” treibt er es aber auf die Spitze, indem er eine entsprechende (Ver-)Kleidung trägt, sich mit Federn und Bemalung schmückt und an einem Totempfahl posiert.

Es gibt jedoch auch Stimmen, die diese Vorwürfe als übertrieben oder ungerechtfertigt ansehen und der Meinung sind, dass es legitim ist, kulturelle Elemente aus anderen Kulturen in der Kunst aufzugreifen und sie auf neue Weise zu interpretieren und zu verwenden.

An diesem Beispiel kannst du gut sehen, wie verzwickt die Debatte um kulturelle Aneignung ist. Denn es klingt zunächst ganz einfach: Wenn eine Person, die nicht aus der indigenen Kultur stammt, einen heiligen Gegenstand aus dieser Kultur trägt, ohne die spirituelle Bedeutung oder den Kontext zu verstehen, dann wird von kultureller Aneignung gesprochen. Aber wie wäre es, hätte die Person indigene Wurzeln? „Apache 207“ übrigens, äußert sich hierzu nicht.


 

Was darf sich die Kunst zu eigen machen, was nicht?

Wer darf Elemente anderer Kulturen verwenden? Und auf welche Weise? Genügt es, Wurzeln in einer entsprechenden Kultur zu haben oder sollte nicht mindestens die Lebensrealität davon beeinflusst sein? Wer bestimmt überhaupt, was ok ist und was nicht? Was ist eigentlich von der Kunstfreiheit gedeckt?

Was einzelne Hip-Hop-Künstler:innen selbst darüber denken, kannst du in diesem Video sehen:

 

 

Debattenkultur 

Kritik zu äußern, wenn sich jemand problematisch verhält, ist eine wichtige und richtige Sache. Der Diskurs um kulturelle Aneignung ist anstrengend. Und kompliziert. Schließlich sind wir alle nicht davor geschützt, eine der eigenen Bubble abweichende Meinung oder auch mal ein Dazwischen auszuhalten oder gar anzunehmen. Aber eine faire Diskussion über kulturelle Aneignung regt dazu an, über Respekt und Toleranz nachzudenken und jene zu hören und zu Wort kommen zu lassen, die oft übersehen und übergangen werden. Eine offene Debattenkultur hilft Ungerechtigkeit und Diskriminierung sichtbar zu machen.

 

Weitere Infos:


Bild: pixabay.de/real-napster

Text: Jessica aus der JIZ Redaktion

top