Der Hamburger Jugendserver

Unsere Gedanken aus dem Knast zur Fußball-Europameisterschaft

von Issa und Aslan

(Schreibgruppe der JVA Hahnöfersand)
 

Mir ist die EM eigentlich egal, aber weil ich in Haft bin, gucke ich mir die Spiele an, weil ich viel Freizeit habe. Wenn ich draußen bin, schaue ich eigentlich so gut wie gar kein Fernsehen, und für Fußball interessiere ich mich so gut wie gar nicht. Ich bin stattdessen viel lieber mit meiner Familie zusammen, mit meinem Sohn und meiner Frau. Die Zeit vergeht in meiner Zelle sehr langsam, durch die EM vergeht sie ein bisschen schneller.

Ich komme ursprünglich aus Spanien, meine Eltern kommen aus Rumänien. Seit neun Jahren lebe ich jetzt hier in Deutschland. Und irgendwie ist es jetzt doch dazu gekommen, dass ich nun für Deutschland fiebere, und hoffe, dass Deutschland die EM gewinnt. Die Spiele mit Spanien und Rumänien schaue ich auch gerne – aber gewinnen soll Deutschland. Es ist die erste EM in meinem Leben, die ich schaue.

(Issa)



Dieses Jahr findet die EM in Deutschland statt, und die Stimmung im Land ist großartig. Die Menschen feiern alle eng zusammen, und alle sind glücklich. Ich bin zurzeit im Gefängnis und hätte mir meine Verhaftung lieber nach der EM gewünscht. Dass ich dieses einzigartige Ereignis verpasse, macht mich ziemlich sauer – das Gefühl, dass in meiner Stadt alle meine Freunde und Familie feiern und die Nationalmannschaft direkt vor der Tür spielt. All das macht mich irre. Aber es ist eine lustige und außergewöhnliche Erfahrung, mein Team dann eben aus dem Knast zu unterstützen. Es macht Spaß – alle feiern bei jedem Tor, der ganze Knast schreit, für eine Minute ist es überall laut. Eine Ablenkung für 90 Minuten, das Eingesperrtsein mal kurz vergessen. Am Fenster mit Freunden zu sprechen und um Tabak zu wetten.

Aber reichen die Sicherheitsmaßnahmen für die Menschen da draußen? Laut einer Umfrage haben die meisten Leute angegeben, dass sie dem Sicherheitskonzept der Polizei vertrauen und keine Angst haben. Für Terroristen wäre die EM ein optimales Ziel. Aber ich persönlich mache mir auch keine Sorgen. Ich würde draußen aber immer aufpassen, weil viele betrunkene Menschen unterwegs sind. Ich vertraue der (Hamburger) Polizei, dass sie terroristische Anschläge verhindern kann und so viel Präsenz zeigt, falls sexuelle Belästigungen oder körperliche Auseinandersetzungen passieren. Ich fühle mich auch besser, weil ich weiß, dass da draußen beim Public Viewing auf meine Freundin aufgepasst wird, und dann kann ich auch hier in meiner Zelle besser schlafen.

(Aslan)

 


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Die Klarnamen der Verfasser sind durch Pseudonyme ersetzt.

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