Sober Curiosity
Eine Gesellschaft, die nicht trinkt?
Sich auszuprobieren und neue Sachen kennenzulernen, machen das Leben aus. Ist ja auch aufregend, nicht? Das erste Mal verliebt sein, der erste Kuss und das erste Mal feiern gehen. Gehört in diese Reihe auch der erste Drink? Alkohol ist häufig Thema, wenn Menschen gesellig werden: zum Anstoßen, bei Partys, beim Date… Sprüche wie „Warum trinkst du nicht? Spielverderber! Bist du etwa schwanger?“, sind ätzend zu hören. Da gerät man leicht in den Gruppenzwang, trinken zu müssen.
Eine neue Möglichkeit zum Ausprobieren
Hast du schon von Sober Curiosity gehört? Die Idee dahinter ist es, dir die Wahl lassen, in dich zu hören und zu entscheiden: Wie wohl fühlst du dich mit Alkoholkonsum und passt es überhaupt (zu dir), Alkohol zu trinken?
Was damals mit einem X auf dem Handrücken subtil gezeigt wurde, wird heute ganz direkt angesprochen: “Ich trinke keinen Alkohol!“. Jedoch wird es heutzutage von jungen Menschen nicht so streng angegangen, wie es die Straight Edger in den 1980ern gemacht haben. Die Jugendkultur aus dem Bereich des Hardcore Punk verzichtete strikt auf Alkohol, Tabak und andere Drogen sowie auf häufig wechselnde Geschlechtspartner. Klingt ziemlich radikal, oder? „Was für nüchterne Neugier, wo bleibt der Spaß?“ Vielleicht denkst du dir: „Wenn die Freunde trinken, trinke ich eben mit.“
Bewusstsein schaffen für den eigenen Alkoholkonsum
Hinter der heutigen Idee der Sober Curiosity-Bewegung steckt, den gängigen Alkoholkonsum zu hinterfragen. Was passiert, wenn man auf Alkohol verzichtet? Wie ist es ohne feiern zu gehen und Spaß darin zu finden, dies nüchtern zu erleben? Der komplette Verzicht von Alkohol wird nicht angestrebt, sondern zu sehen, welche Auswirkungen es auf das eigene Wohlbefinden und das soziale Miteinander hat, möglichst wenig zu und sehr bewusst zu trinken. Diese Bewegung hat die Autorin Ruby Warrington mit ihrem Buch „Sober Curiosity“ für die Generation Z ins Leben gerufen. Dabei unterscheiden sich die Werte nicht sonderlich von bekannten Jugendkulturen aus vorherigen Generationen.
Das Sober Curiosity-Movement, wie die Bewegung auch genannt wird, kritisiert weniger den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol. Vielmehr wollen die Anhänger sich selbst hinterfragen und mit dem Konsum von Alkohol bewusster umgehen. Daher stellen sie sich Fragen wie: „Wie geht es mir, wenn ich Hochprozentiges trinke? Ist ein Bier vielleicht genug und brauche ich überhaupt welches, damit es mir hier Spaß macht? Will ich den Kater am nächsten Morgen wirklich riskieren?“
Alkohol ist eine Droge
Alkohol kann verschiedene Auswirkungen auf unseren Körper, unsere Psyche und unser Miteinander mit anderen Personen haben. Du hast das bestimmt schon mal selbst erlebt: die Euphorie, die Lockerheit, die nach einigen Schlückchen entsteht und das gesteigerte Selbstvertrauen. Endlich traut man sich, Andere anzusprechen. Das sind kurzzeitige Effekte, die du als positiv erachtest und die dein Nervensystem bei geringer Dosis stimulieren.
In diesen Situationen verdrängst du es vielleicht: Die Droge Alkohol kann sich übel auswirken. Wie so oft, macht die Menge das Gift. Wie viel Alkohol zu viel ist, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und kommt allein darauf an, wie dein Körper reagiert und wie du Alkohol verträgst. Daher ist es nicht immer einfach abzuschätzen, wann es zu viel ist. Schnell können sich dann Übelkeit, Orientierungslosigkeit und Schwindel einstellen. Viele Menschen werden von zu viel Alkohol sogar aggressiv. Da sagt man vielleicht vorschnell Dinge, tut Unbedachtes oder ist unfreundlich und am nächsten Tag mit Kater und Kopfschmerzen bereut man diese Dinge. Es kann aber auch zu mehr oder weniger großen Gedächtnislücken kommen, weil Alkohol die Kommunikation der Gehirnzellen untereinander stört. Das nennt sich Filmriss. Ein Zuviel an Alkohol kann aber auch eine Alkoholvergiftung verursachen.
Das alles kennst du vielleicht aus eigenen Erfahrungen oder Erzählungen. Wer zu viel und zu oft Alkohol trinkt, riskiert auch dauerhafte Schäden an Psyche und Körper.
Wichtig:
Wie mit allen Drogen, gibst du mit dem Alkoholkonsum auch ein Stück deiner Selbstkontrolle ab. Das Trinken ist häufig ein Gruppenphänomen. Daher solltest du dir in ungewohnten Räumen oder unbekannten Situationen immer gründlich überlegen, ob du dich damit wohl fühlst und wo für dich Schluss ist. Besprich dich mit einer Freundin/einem Freund darüber. Passt aufeinander auf!
Du findest außerdem in unserem Notfall-Handy Anlaufstellen, die du entweder rund um die Uhr oder sehr zeitnah kontaktieren kannst - telefonisch und/oder online, kostenfrei und oft auch anonym (wenn du das möchtest). Das Faltblatt kannst du kostenlos bei uns bestellen (E-Mail an jiz@bsb.hamburg.de) und auch als PDF herunterladen. Oder du schaust online in unserer Kategorie Notfallkontakte.
Es ist wichtig sich darüber bewusst zu sein, dass das Alkoholtrinken die Ausnahme sein sollte. Denn häufiger, übermäßiger oder gar regelmäßiger Konsum kann schwerwiegende Probleme verursachen. „Fast 15 Prozent, also ca. 7,4 Mio. Menschen in Deutschland, riskieren mit dem Ausmaß ihres Alkoholkonsums gesundheitliche Folgen. Für Hamburg ist davon auszugehen, dass ca. 235.000 Personen einen problematischen Umgang mit Alkohol haben“, so SUCHT HAMBURG (Alkohol – Sucht Hamburg).
Alkohol beeinträchtigt Körper und Geist bei Kindern und Jugendlichen sogar noch sehr viel mehr als bei Erwachsenen. Das liegt daran, dass deine Organe, so auch dein Gehirn, noch in der Entwicklung sind. Daher bist du besonders anfällig für das Zellgift Alkohol.
Am meisten leidet die Leber, weil sie den Alkohol abbaut. Wenn sie krankt, sind u. a. Leberentzündung oder bleibende Leberschäden möglich. Auch deine geistige Leistungsfähigkeit kann sinken und das Konzentrationsvermögen abnehmen. Langfristig können auch das Urteilsvermögen und die Intelligenz beeinträchtigt werden. Bei häufigem, hohem Konsum kann das Gehirn sogar schrumpfen. Das nennt sich Korsakow-Syndrom.
Neben vielen weiteren Problemen und dauerhaften Schäden an deinen Organen, kann auch die sexuelle Funktion nachlassen nach oder aussetzen.
Eine Alkoholabhängigkeit verändert auch die Persönlichkeit und kann zu Ängsten und Depressionen führen.
Häufiges oder gar regelmäßiges Alkoholtrinken kann auch den Alltag durcheinanderbringen. Die Folgen von Müdigkeit und Schlafschwierigkeiten lassen dich Aufgaben und Termine vergessen oder dein soziales Umfeld vernachlässigen. Das kann bis hin zur völligen sozialen Isolation führen. Konzentrationsschwierigkeiten und gesunkene Lernfähigkeit wirken sich negativ auf die schulische oder berufliche Leistungsfähigkeit aus und im schlimmsten Fall gefährdest du deinen Abschluss.
Haltung zeigen und den Alkoholkonsum überdenken
Mut und auch Durchhaltevermögen gehören dazu, seinen Standpunkt zu halten und sich nicht beirren zu lassen von anderen Meinungen und Ansichten, die konträr zu den eigenen sind. Ich finde ja, die sind egal, da es auf dich ankommt und was du für dich möchtest! Deswegen einige Tipps, die das Sober Clubbing erleichtern:
Besorge dir stets selbstständig Getränke deiner Wahl. So kannst du bei Aufforderungen und Fragen nach einem Drink gelassen auf dein vorhandenes Getränk verweisen. Das gibt dir Sicherheit und Entspannung.
Frage dich, mit wem du unterwegs sein möchtest. Safe Spaces erlauben dir, dich wohl zu fühlen und offen kommunizieren zu können, dass du keinen oder wenig Alkohol trinkst. Du musst dich nämlich für diese Entscheidung vor keinem rechtfertigen. Auch, wenn du vielleicht ‚nen Spruch kassierst, weil du mal keinen Alkohol trinken willst: Echte Freundschaften werden daran nicht zerbrechen.
Es gibt explizit Bars und Clubs, die Sober-Partys veranstalten oder mit einer Auswahl an Getränken ohne Alkohol aufgestellt sind. Auch deine eigene Party kannst du so organisieren, dass du (nur) nicht-alkoholische Getränke anbietest, da die Vielfalt spannender Getränke ohne Alkohol stetig wächst. So könntet ihr euch ausprobieren und eure Lieblings-Softdrinks und nicht-alkoholische Alternativen untereinander vorstellen.
Für mich klingt das nach einer faszinierenden Möglichkeit, eine Welt ohne Alkohol zu erkunden und ein nüchternes Miteinander mit neuen Empfindungen zu erleben. Nüchtern zu sein bedeutet nicht nur auf die negativen Auswirkungen von Alkohol zu verzichten, sondern auch die positiven Seiten zu genießen. Klar, es wird wahrscheinlich zunächst komisch sein, mal ohne Alkohol zu feiern. Aber die Neugier, wie viel Spaß man auch mit wenig oder ohne Alkohol haben kann, ist da.
In meinem eigenen Freundeskreis befinden sich einige Leute, die selten bis gar keinen Alkohol zu sich nehmen. Meine Freundin Jana hat sich dazu bereit erklärt, ein kurzes Interview mit mir zu führen und ihre Erfahrungen zu dem Thema zu teilen.
Interview mit Jana (21):
Was verstehst du unter Sober Curiosity?
Unter Sober Curiosity verstehe ich, dass man sich bei allen Gelegenheiten fragt, warum man jetzt gerade Alkohol trinken will. Man versucht wenig bis keinen Alkohol zu trinken und testet dabei, wie man sich damit fühlt. Es geht also um den bewussten Umgang mit Alkohol.
Wie waren deine letzten Erfahrungen mit Alkohol?
Meine letzte Erfahrung mit Alkohol war positiv. Ich war auf einer Open Air Party mit meinen Freundinnen. Wir hatten einen schönen Abend und viel Spaß. Am nächsten Tag ging es mir gut, da ich nicht zu viel getrunken hatte.
Zu welchen Anlässen wird bei dir Alkohol getrunken und wie gehst du damit um?
Ich trinke Alkohol nur zu besonderen Anlässen wie zum Beispiel zu Geburtstagen, Silvester, sowas. Noch dazu: Ich trinke nur so viel Alkohol, dass es mir an dem Abend noch gut geht und auch am nächsten Tag.
Zu guter Letzt: Was würdest du anderen Personen raten, wenn es um Alkoholkonsum geht?
Ich würde allen raten, dass man nicht zu viel trinkt und seine Grenzen kennt. Man sollte immer auf sein Getränk achtgeben. Niemand sollte sich gezwungen fühlen, Alkohol zu konsumieren und dass es okay ist, wenn man nichts trinken will.
Fazit
Alkoholfrei zu feiern, kann also eine echte Alternative sein. Und auch, wenn der Gruppendruck manchmal schwer auszuhalten ist, lohnt es sich, zu deinem „Nein“ zu stehen. Echte Freundschaften werden deine Entscheidung früher oder später akzeptieren – und vielleicht fangen sie ja sogar selbst an, ihre Gewohnheiten zu reflektieren. Ich finde es jedenfalls spannend, mir darüber Gedanken zu machen und meine ganz persönlichen Gründe, aus denen ich sonst Alkohol getrunken habe, in Frage zu stellen.
Wenn auch du dich damit mehr auseinandersetzen willst, hilft Selbstreflexion und auch der Austausch mit Freunden und Freundinnen so wie der Familie. Schließlich solltest du dir bewusst sein, dass du auch ein Teil der Gesellschaft bist und mit deinem Verhalten dazu beitragen kannst, etwas zu verändern. So kannst du mit deinen Entscheidungen und deiner Haltung zeigen, wie es auch gehen kann und so zur Diversität unserer Gesellschaft beitragen. Keinen Alkohol zu konsumieren sollte normalisiert werden.
Weitere Infos
Alkohol – Sucht Hamburg (sucht-hamburg.de)
Feiern nur mit Alkohol? Es geht auch ohne! | #KDL » Kenn dein limit (kenn-dein-limit.info)
Fragen zum Thema Alkohol | Null Alkohol - Voll Power (null-alkohol-voll-power.de)
Bild Feiern © pixabay/Event-Party Veranstaltungen
Text: Lea, Auszubildende der JIZ-Redaktion